Bya-ra

Bya-ra, Hund Nr. 3 in unserem Hause, war absolut nicht geplant. Zumindest nicht von Wolfgang! Aber gerade er ist derjenige, dem ich unseren kleinen Tibet-Terrier-Nachwuchs zu verdanken habe. Und zum Glück war es Wolfgang und nicht ich, der Gesar einen kurzen Augenblick mit der läufigen Indra alleine ließ. Plötzlich hörte man nur noch Indras Quietschen und ab da nahm alles seinen Lauf. Nicht, dass wir keine Vorsorge getroffen hätte, denn Indra war bereits etwas über 8 Jahre alt und hätte eigentlich zur Zucht nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Sie trug selbstverständlich ein Schutzhöschen und war - bis auf diesen kleinen Moment - immer unter Aufsicht, was aber so einen alten Profi wie Gesar nicht daran hinderte, das zu tun, wonach ihn verlangte. Irgendwie gelang es ihm also, das Hindernis zur Seite zu schieben. War es doch gerade der Tag, an dem Indra ganz besonders intensiv duftende Lockstoffe verbreitete. Da gab’s kein Halten mehr! Ich geriet zuerst einmal total in Panik, weil wir nun gegen die Bestimmungen des KTR verstoßen hatten. Mein Mann dagegen, obwohl der ja nun wirklich keine weiteren Hunde wollte, sah es wesentlich gelassener. Ich setzte mich gleich am Abend mit dem Verein in Verbindung, kam aber, da Indra gerade erst das Alter von 8 Jahren überschritten hatte und der letzte Wurf nur aus zwei Welpen bestanden und somit die Hündin nicht sehr belastet hatte, noch mit einem blauen Auge davon. Ich ging außerdem davon aus, dass das einmalige Decken keine Auswirkungen haben würde und auch in den folgenden Wochen konnte ich bei Indra keine Veränderungen feststellen  Wir fuhren erst einmal nach Dänemark in Urlaub und machten uns weiter keine Gedanken, sondern genossen zwei herrliche Wochen, von denen auch Indra profitierte, denn durch die langen Spaziergänge und Ausflüge tankte sie gründlich Kondition, die sie bald darauf auch brauchte.

Aus dem Urlaub zurück waren vier Wochen Wartezeit um und ich konnte bei Indra eine Ultraschalluntersuchung machen lassen. Und siehe da: ein Volltreffer! Drei Welpen waren klar und deutlich erkennbar, eventuell hielten sich noch weitere versteckt.

6. November 2003. Es war der 57. Tag nach dem Decktag. Ein Donnerstagmorgen. Bis auf Wolfgang waren alle Familienmitglieder zu Hause. Man könnte fast glauben, Indra hätte bewusst diesen Termin zur Geburt ihres dritten Wurfes gewählt. Natascha stand als Geburtshelfer und Melanie, die generell donnerstags erst um 10 Uhr zur Arbeit muss,  stand vorerst als Protokollführer bereit und wie immer legte Indra Wert darauf, auch ihren Ehemann Gesar dabei zu haben. Bereits nachts war Indra unruhig, kratzte, scharrte und wollte vermehrt nach draußen. Gegen 6 Uhr begann sie zu hecheln, eine Stunde später setzten die Wehen ein, und genau um 7.40 Uhr wurde als erster von fünf Welpen Bya-ras Bruder Bhayani geboren. Der gesamte Geburtsvorgang zog sich lediglich ca. 2 Stunden hin. Als letzte kam wenige Minuten nach Schwesterchen Luna - genau um 9.56 Uhr - unsere Bya-ra zur Welt. Sie war mit 168 g die größte und schwerste und man hatte so das Gefühl, sie hätte erst all ihre kleinen Geschwister vor sich hergeschoben, um dann eiligst selbst hinterher zuschlüpfen.

Ich glaube so ganz im Stillen stand für mich ab der ersten Minute fest, dass dieser Hund als Nachwuchszuchthündin bei uns bleibt. Ganz dunkel war sie, von der Farbe her wie ein Boxer, teilweise fast schwarz, mit einer wunderschönen schwarzen Maske und vielen Falten im Gesicht. Im Alter von 14 Tagen begann sie die Äuglein zu öffnen. Mit 17 Tagen wagte sie die ersten Schritte, wenn auch sehr wacklig. Die Farbe des Fells begann nun sich zu verändern. An einigen Stellen schimmerte es bereits golden und irgendwie sah Bya-ra meliert aus. Als ich die Kleine zum ersten Mal auf die Hand nahm und sie mich eingehend betrachtete, entfuhr ihr mit einem Male ein lauter Quietscher: „Hilfe! Lass mich runter! Dich kenn ich nicht.“ Du liebe Güte, sehe ich denn so erschreckend aus? Bereits in diesem Moment hätte mir klar werden müssen, dass ich hier einen ziemlichen Hasenfuß heranziehe. Der nächste Kontaktversuch zwischen Bya-ra und mir noch am gleichen Tag verlief wesentlich erfreulicher. Ich ließ mich neben dem Welpenbett nieder, nutzte die Gelegenheit, als Mama Indra gerade nicht da war. Ich rief Bya-ra und unterstützte dies durch Klopfen an den Rand des Welpenbettes. Bya-ra hob den Kopf, versuchte zu mir zu krabbeln, sah mich an. Ich konnte sie hinter den Öhrchen kraulen und ich erntete ein erstes Schwanzwedeln. Das war ein echtes Erfolgserlebnis!

Im Alter von vier Wochen hatten alle Welpen den Drang sich nach dem Füttern sofort auf meinen Schoß zu begeben und einzukuscheln. Bya-ra vorneweg! Dort blieb sie auch und ließ sich nicht mehr verdrängen. Daran hat sich im Grunde genommen bis heute nichts geändert. Sie wusste von Anfang an, was sie will. Auf gar keinen Fall verkauft werden! Es kostete mich viel Überredungskunst (und noch mehr Tränen) auch Wolfgang davon zu überzeugen. Der Gedanke, dass es sich bei Bya-ra um den letzten gemeinsamen Nachwuchs von Gesar und Indra handelt, stimmte ihn um und er gab er nach. Bya-ra durfte bleiben.